Von MAYDAY bis zu Ruhr-in-Love und NATURE ONE – von Open-Air-Raves bis zu Indoor-Formaten: I-Motion prägt seit Jahrzehnten die elektronische Festivallandschaft. Im Interview mit Oliver Vordemvenne blicken wir hinter die Kulissen eines Unternehmens, das nicht einfach Events macht, sondern Erinnerungen schafft.
I-Motion Geschäftsführer Oliver Vordemvenne im Interview mit DJ Mag Germany
Seit den frühen 1990er-Jahren steht I-Motion für elektronische Musik, große Emotionen und Events, die Generationen verbinden. Ob MAYDAY, NATURE ONE oder Ruhr-in-Love – jedes Format spricht seine eigene Sprache und trägt doch den gleichen Spirit in sich: Menschen eine gute Zeit zu ermöglichen. Im exklusiven DJ Mag Interview haben wir mit dem Geschäftsführer Oliver Vordemvenne über Entwicklungen, Herausforderungen, neue Zielgruppen und das Erfolgsgeheimnis von I-Motion gesprochen.
Hi, schön, dass du dir die Zeit genommen hast! Wo erwischen wir dich gerade – mitten in den Vorbereitungen für das nächste Event oder ist gerade noch ein kurzer Moment zum Durchatmen?
Oliver Vordemvenne: Ich freue mich, hier zu sein. Aktuell stecken wir mitten in der Festivalsaison. Vor kurzem waren wir bei der Ruhr-in-Love in Oberhausen und am Samstag waren wir mit dem NATURE-ONE-Truck bei Rave the Planet in Berlin. Da waren wir mit einem kleinen Team dabei. Im Büro kümmern sich die meisten natürlich schon um die finalen Vorbereitungen für NATURE ONE.
Also bei so vielen Events, die ihr jedes Jahr veranstaltet, geht’s eigentlich immer direkt weiter, oder?
Oliver Vordemvenne: Das stimmt, man bleibt so immer auf einem gewissen Pegel. Insgesamt ist es im Sommer natürlich deutlich voller, aber auch im Winter wird uns nicht langweilig.
Vom Promo-Van zur Raketenbasis
Erinnern wir uns kurz zurück an die Anfangszeit von I-Motion. Mit welcher Idee seid ihr gestartet und wie hat sich diese Idee auf dem Weg (bis heute) verändert?
Oliver Vordemvenne: Die ursprüngliche Idee kam vom Gründer Nik Scheer so Anfang der 90er, kurz nach der Wende. Damals boomte elektronische Musik, überall gab es Raves – in Leipzig, München, Berlin – eigentlich in ganz Deutschland. 1991 fand MAYDAY zum ersten Mal statt. Aber ein echtes Festival unter freiem Himmel, wie es das im Rockbereich schon gab, existierte noch nicht.
Nik kam 1994 auf die Idee: „Warum nicht auch im Sommer draußen feiern?“ Bis dahin fand alles in Hallen oder alten Industriegebäuden statt. So wurde NATURE ONE geboren. Damals noch als erster Open-Air-Rave. 1995 fand dann die erste Ausgabe auf dem Flughafen Hahn statt, einem ehemaligen US-Militärflugplatz. Das Besondere war, dass man tatsächlich mit dem Flieger aus Hamburg, München oder Berlin anreisen konnte, man ist direkt neben dem Dancefloor gelandet und zu Fuß zum Festivalgelände gegangen. Irgendwann mussten wir umziehen, weil die Anwohner in Lautzenhausen das Ganze nicht mehr so toll fanden. Wenn sie nachts bei offenem Fenster schlafen wollten, hörten sie eben nicht nur Grillen, sondern deutlich mehr und das war ihnen dann doch zu viel. Zum Glück haben wir dann relativ schnell was Passendes gefunden, etwa 20 Minuten entfernt. Heute kennt man das als Raketenbasis Pydna, ein ehemaliges US-Militärgelände. Damals haben wir immer von der „Püttnerhalle“ gesprochen – das ist immer noch ein Teil davon. Und seitdem sind wir da.
Damals waren wir zu zweit. Es gab kein Internet, keine Handys, nicht mal ein Faxgerät. Später war das Fax dann sogar ein technisches Highlight. Wir haben mit Flyern, Plakaten und Magazin-Anzeigen gearbeitet, DJ Mag zum Beispiel gab’s damals in Deutschland noch nicht, nur in UK. Wir hatten sogar einen Promo-Van und sind damit durch ganz Deutschland gefahren, auf Paraden, Raves, überall um Flyer zu verteilen.

Erinnerst du dich an den Moment, als euch klar wurde: „Das hier wird größer, als wir gedacht haben“?
Oliver Vordemvenne: Ja, also das ist relativ organisch gewachsen. 1995, bei der ersten Ausgabe, waren, glaube ich, rund 12.000 Leute da. Genau so, wie wir es uns erhofft hatten. Wir mussten kein Geld drauflegen. 1996, obwohl die Premiere gut lief, sah der Vorverkauf erstmal richtig schlecht aus. Vier Wochen vorher hatten wir innerlich schon einen Haken dran gemacht und uns überlegt, wie viele Jahre wir in einem Angestelltenverhältnis arbeiten müssen, um den Schuldenberg abzutragen.
Zum Glück hat es dann doch nochmal angezogen, sodass auch 1996 die erste Veranstaltung auf dem neuen Gelände okay war. Geld haben wir trotzdem keins verdient. 1996 war es ja noch eine reine Nachtveranstaltung, nur Samstag. Dann haben wir gesagt: alles oder nichts und den Freitag dazu genommen. Und wir haben Camping angeboten – also ein richtiges Festival in diesem Sinne.
Das hat funktioniert. Es kamen wieder mehr Leute und wir haben zum ersten Mal ein paar D-Mark verdient. Dann ging’s weiter und wir haben ein paar Partner mit ins Boot geholt, die ersten Sponsoren wurden aufmerksam und jedes Jahr kamen ein paar Tausend Besucher mehr. Es ist Schritt für Schritt gewachsen. Und beim Zehnjährigen 2004 haben wir gesagt: Okay, jetzt haben wir’s geschafft, jetzt sieht es so aus, als würde das Ganze mal ein paar Jahre auf dem Niveau bleiben. Denn vorher war’s immer … na ja, schwierig.
Ein gemeinsames Ziel: Das kleine Glück verkaufen
Die Veranstaltungen haben sich also dementsprechend weiterentwickelt, es sind welche dazugekommen, andere sind vom Markt verschwunden. Jedes Event spricht ähnliche und doch andere Zielgruppen an. Von NATURE ONE bis Ruhr-in-Love. Was vereint alle I-Motion-Formate?
Oliver Vordemvenne: Was alle vereint, ist sicher das Ziel. Also klar, wir sind natürlich mittlerweile 40 Leute, gehören zum Konzern, also es ist schon auch ein Wirtschaftsunternehmen, wir müssen Geld verdienen. Das ist schon klar. Aber eben der Grundgedanke oder der Grundspirit ist geblieben, nämlich: Wir wollen geile Partys machen und wir wollen Menschen das kleine Glück schenken. Dass sie eine gute Zeit haben, Lebensfreude spüren, Gemeinschaft erleben – zu guter elektronischer Musik. Das ist der Kern.
Ich sage in Bewerbungsgesprächen immer: „Was gibt’s Geileres zu verkaufen als das kleine Glück?“ Klar, man kann Tassen, Computer oder sogar Waffen verkaufen, aber wir verkaufen etwas, was richtig cool ist. Und das geht über die Musik hinaus. Es muss sicher sein, komfortabel, sodass man den Alltag zu Hause lassen kann. Dieses Gefühl überträgt sich auch aufs Publikum. Selbst mit 65.000 Menschen auf dem Gelände und vier Tagen Campingplatz gibt’s keine Gewalt, keine Konflikte, weil die Leute einfach da sind, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Diesen Spirit wollen wir bewahren.
Auf jeden Fall ist es am Ende wahrscheinlich auch so ein schönes Gefühl, in die glücklichen Gesichter zu schauen, die man dann vor sich hat. Vor ein paar Wochen fand auch MAYDAY statt und jetzt Ruhr-in-Love – kannst du anhand dieser Veranstaltung mal erklären, wie sich Kosten, Publikum, Ansprüche usw. über die Jahre verändert haben?
Oliver Vordemvenne: Was glaube ich bekannt ist, ist, dass seit Corona die Kosten brutal nach oben gegangen sind. Wir können das aber nicht eins zu eins auf die Ticketpreise umlegen, weil die Leute gleichzeitig mehr aufs Geld schauen und vorsichtiger sind. Es herrscht eine wirtschaftliche Unsicherheit, die täglich in den Nachrichten verstärkt wird. Dabei geht es uns im globalen Vergleich gut. Wir haben im Februar eine Schule in Ruanda eröffnet, finanziert durch Spendengelder. Dort sehen wir, was echte Herausforderungen sind. Wenn man zurückkommt, verschieben sich die eigenen Probleme. Die Kinder dort haben im Prinzip nichts und freuen sich über die einzige warme Mahlzeit am Tag.
Was wir auch merken, ist, dass die vielzitierte Gen Z, die während Corona 15, 16 oder 17 war, das Feiern nicht „gelernt“ hat. Sie kommen kaum zu unseren Veranstaltungen, obwohl sie eigentlich unsere Zukunft wären. Das ist eine Herausforderung. Wir müssen ihnen besser zeigen, was sie verpassen.
Bei einem Festival wie NATURE ONE allerdings sehen wir diese unglaubliche Treue der Leute, die mit Anfang 20 zum ersten Mal da waren, heute Mitte 30 sind, Familie haben und sagen: „Die vier Tage im Jahr – die bleiben unser Ritual.“ Manche kommen inzwischen mit ihren erwachsenen Kindern. NATURE ONE ist generationsübergreifend geworden. Und das ist etwas ganz Besonderes. Niemand sagt: „Was will denn der Opa hier?“ Im Gegenteil, das wird komplett positiv wahrgenommen. Dieses offene, tolerante Miteinander ist ein ganz klarer Teil von NATURE ONE geworden.
Natürlich wünschen wir uns auch, dass die junge Generation wieder ein bisschen mehr rauskommt. Aber ich habe da Hoffnung: Ich habe neulich gelesen, dass gerade die 14- bis 15-Jährigen wieder richtig Lust aufs Ausgehen haben. Das ist ja gerade ein großes Thema in der Branche.
Was ein Festival wirklich erfolgreich macht
Was ist denn entscheidend, damit ein Festival langfristig überlebt?
Oliver Vordemvenne: Das Produkt muss einfach gut sein. Das Konzept muss stimmen, und man muss sich ständig fragen: Was wollen die Leute wirklich? Am Ende muss der Köder dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Es bringt nichts, wenn die Bühne zwar toll aussieht, aber sonst alles nicht funktioniert – Garderobe, Einlass, Theke, Toiletten, Parkplätze. Das Gesamtpaket muss reibungslos laufen. Nur dann entsteht auch ein gutes Erlebnis. Wenn der Künstler auf der Bühne zwar abgeliefert hat, aber alles drumherum nervig war, erinnert man sich eben nicht an eine tolle Nacht, sondern an den Stress. Und das führt nicht dazu, dass die Leute wiederkommen oder ihre Freunde mitbringen. Deshalb sind wir sehr detailverliebt und schauen immer wieder ganz genau hin. Alles muss funktionieren.
Was sind die nächsten großen Schritte für I-Motion? Gibt es neue Formate oder Visionen, die Ihr gerade verfolgt?
Oliver Vordemvenne: Unsere erste große Herausforderung jedes Jahr ist es, die bestehenden Events auf einem hohen Niveau zu halten. Das frisst locker 80 bis 90 Prozent unserer Energie. Aber natürlich denken wir auch weiter. Für nächstes Jahr sind zwei, drei neue Projekte in Planung, da sind wir aber noch ganz am Anfang. Uns beschäftigt auch die Frage, wie wir neue Zielgruppen erreichen, zum Beispiel Menschen um die 30, 40, die berufstätig sind, Familie haben, aber mit elektronischer Musik aufgewachsen sind. Für diese Gruppe sind Tages-Events im Grünen interessant im Sommer, ohne Babysitter-Logistik. Auch da überlegen wir, was wir anbieten können, indoor wie outdoor. Aber mehr kann ich noch nicht verraten.
Dann hätte ich zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was war der emotionalste Moment, den du bei einem I-Motion-Event je erlebt hast? So einer, der dir zeigt, warum du das alles IMMER NOCH machst?
Oliver Vordemvenne: Oh, da gibt’s Tausende! Vielleicht filtert das Gehirn die negativen Erinnerungen ja bewusst heraus und die schönen bleiben. Gerade bei NATURE ONE habe ich unglaublich viele tolle Momente im Kopf. Besonders auch die, in denen es schwierig wurde: Wenn wir zum Beispiel knietief im Matsch standen und man sich fragte: Wie kriegen wir das jetzt noch hin? Und dann haben wir’s geschafft und die Gäste sagen: „War trotzdem geil!“ Auch wenn das Wetter nicht mitgespielt hat. Solche Momente bleiben hängen. Es fällt mir schwer, da nur einen einzigen Gänsehautmoment rauszupicken – dafür waren es glücklicherweise einfach schon zu viele.
Dann wünsche ich dir, dass da noch viele weitere dazukommen. Danke dir und ganz viel Kraft und Spaß bei allen Events, die in diesem Jahr noch kommen.
Fotocredit: I-Motion
