Kommentar: Stella Bossi demaskiert die Techno-Szene

Kommentar: Stella Bossi demaskiert die Techno-Szene

Am Wochenende hat Stella Bossi mit ihrer Unfreundlichkeit beim Set-Wechsel gegenüber Pappenheimer eine Menge Hass auf sich gezogen. Die Kommentarspalten sind voller Häme und Beleidigungen und die Techno-Szene zeigt sich von ihrer leider immer noch misogynen Seite – findet zumindest unser Korrespondent Henri Johna.

Am Wochenende hat Stella Bossi mit ihrer Unfreundlichkeit beim Set-Wechsel gegenüber Pappenheimer eine Menge Hass auf sich gezogen. Die Kommentarspalten sind voller Häme und Beleidigungen und die Techno-Szene zeigt sich von ihrer leider immer noch misogynen Seite – findet zumindest unser Korrespondent Henri Johna.

Die Szene zeigt ihre hässliche Fratze – aber nicht so wie ihr denkt

„Göre“, „Fake Bitch“, „Arrogante Olle“ – diese und ähnliche Begriffe findet die Techno-Netzgemeinde aktuell für Stella Bossi. Die sonst nicht gerade für große Einigkeit bekannte Community zeigt sich aktuell geschlossen wie nie: Stella Bossi = kacke. Wie konnte es so weit kommen?

Für alle, die vom Algorithmus dieses Beefs bisher verschont wurden oder einfach die letzten schönen Tage des Jahres nicht auf Social Media verbracht haben, kommt hier die Kurzfassung: Am Wochenende spielt auf einem Event in Stuttgart Stella Bossi das Closing-Set, vor ihr ist Pappenheimer dran. Letzterer spielt etwas länger, weil erstere sich verspätet. Beim Set-Change gibt’s Ärger, weil Stella bzw. ihr Team das Set von Pappenheimer in Eigenregie beendet, ihm den Vogel zeigt und dann von der Bühne verweisen lässt.

Das Ganze wäre wohl noch vor wenigen Jahren eine Geschichte geworden, die man sich im Backstage oder auf der Clubtoilette erzählt, unsicher dessen, ob sie wirklich stimmt. Im Jahr 2023 gibt’s das ganze Schauspiel halt auf Video und schon am nächsten Morgen auf Hunderttausenden von Handybildschirmen. Was folgt, ist einer der krassesten Shitstorms, die die Techno-Szene je erlebt hat.

@partynewsberlin

erst kam @Stella Bossi Minuten zu spät, dann schmeißt sie Pappenheimer respektlos von der Bühne. Er durfte nicht mal den Track ausspielen und sich von den Fans verabschieden und sollte mit betreten von Stella Bossi sofort verschwinden 😮 #stellabossipappenheimer #stellabossi #pappenheimer

♬ Originalton – Party News Berlin

Die Rache der alten Garde

Ich möchte nicht darüber schreiben, ob der Shitstorm gerechtfertigt ist oder nicht. Bis auf ein kolossales Versagen des Stagemanagers lässt sich von dieser Situation nur weniges gesichert feststellen. Ich möchte darüber reden, welche Form dieser Shitstorm inzwischen angenommen hat. Und wie demaskierend es ist, was so mancher Vertreter der Zunft über Stella Bossi von sich gibt.

Die drei Beleidigungen oben – und man findet sie und ähnliche zuhauf in den Kommentarspalten und Feeds, haben eines gemeinsam: Sie beziehen sich darauf, dass Stella Bossi eine Frau ist. Und das ist kein Zufall.

Dieser Fall bekommt unter anderem auch deswegen so viel Aufmerksamkeit, weil er in das Narrativ vieler männlicher DJs und sonstiger Techno-Vertreter passt: Die arroganten Frauen, die undankbaren Weiber, die nehmen uns hier die Plätze weg. Wer behauptet, dass dieses Gedankengut hinter den Kulissen der Techno-Szene nicht weitverbreitet ist, belügt sich selbst. Und dieser Shitstorm führt es uns mit seiner Intensität vor Augen.

Beweis gefällig? Unter dem Post von Pappenheimer solidarisiert sich Lilly Palmer mit Pappenheimer – und bekommt vom aufgebrachten Mob erst mal zu hören, wie fake sie doch sei. Noch Fragen?

Männergrippe für die Seele

Natürlich treibt es die Szene vom Wochenende auf geradezu urkomische Art auf die Spitze. Stella Bossi, die Headlinerin, das Phänomen der Stunde dreht dem alteingesessenen Pappenheimer, einem der ganz hart gesottenen Haudegen, den Saft ab und schmeißt ihn von der Bühne. Wer das als Drehbuch abgibt, bekommt sicher zu hören: „Ist das nicht ein wenig zu offensichtlich?“

Vielleicht ist aber genau diese Zuspitzung das, was der ein oder andere gebraucht hat, um mal offensiv mithilfe der eigenen Rhetorik auszuposaunen, was sich viele davor nur gedacht haben. Die Zeiten der 99 % männlichen Line-ups sind vorbei, die alten Männerseilschaften fangen auch in der Techno-Szene an, sich etwas zu lösen. Und diejenigen, die es noch vor wenigen Jahren dank Pimmelberger-Bonus kontinuierlich auf die Bühne geschafft haben, bekommen heute vielleicht nicht mehr so viele Gigs. Gut so.

Aus all dieser fragile masculinity, aus all dieser empfundenen Ungerechtigkeit, die nichts Weiteres ist als das langsame Wegfallen von zuvor genossenen Privilegien, wird nun Stella Bossi gecancelt. Für eine Aktion, die sich genug männliche Headliner so oder ähnlich mehrfach im Jahr genehmigen. Selective Outrage vom Feinsten.

Dear Techno, you have become your own worst enemy

Also, liebe Techno-Community: Do better! Wer sich als Szene als Rückzugsort für die von der Gesellschaft Geächteten oder zumindest ungerecht Behandelten sieht, der muss anders streiten können. Denn egal, wie sehr einem das Verhalten einer Frau sauer aufstößt … wer dann reflexhaft von „Gold Digger“ und „Fake Bitch“ und ähnlichem redet, der klingt genauso wie die Männer in den Anzügen aus den Chef-Etagen, wenn mal ausnahmsweise eine Frau befördert wird. Und wie cringe wäre das denn bitte für euch?

PS: Hört auch mal mit dem ganzen TikTok-Gehate auf. Wenn ihr Leuten auf euren Plattformen eine coole Umgebung bietet, werden sie auch dort aktiv. Aber mit diesem toxischen Verhalten? Na ja…

Fotocredit: Stella Bossi (Press Pic)

Hinweis

Bei einem Kommentar handelt es sich um die Meinung des Autors. Diese muss nicht zwingend die Meinung der Redaktion des DJ Mag Germany wiedergeben.


Henri Johna

Henri Johna