Kommentar: Das EDM-Jahr 2022 – meine Abrechnung

Kommentar: Das EDM-Jahr 2022 – meine Abrechnung

Hach, was war das wieder für ein Jahr. Nach ätzenden zwei Jahren Pandemie, die unsere Szene nicht so leicht weggesteckt hat, gab es viele Höhepunkte. Erfolgreiche Songs, gute Alben, tolle alte wie neue Festivals und Newcomer, die den Markt erobert haben. Aber: Es gibt auch Entwicklungen, die mir Sorgen machen: die Preispolitik der DJs und Agenturen, der Umgang mit mentaler Gesundheit in unserer Branche, die Arroganz und Unehrlichkeit mancher Manager und Booker und nicht zuletzt der Koks-Konsum. Ein Spiel mit dem Feuer. Ein Kommentar.

2022: Ein Jahr mit vielen Höhepunkten, aber auch Themen, die man ansprechen muss

Wir durften in diesem Jahr endlich wieder – wieder feiern, wieder in Clubs gehen, uns wieder in den Armen liegen, wieder vor den Mainstages stehen und unsere Lieblings-DJs bejubeln, auf Festivals gehen, richtig raven und das Leben genießen – endlich aufatmen! Veranstalter, Bühnenbauer, Booker, Videografen, Stagemanager, Pyrotechniker, Fotografen, VJs, DJs, Manager – wir alle konnten, nach ätzender Pandemie, wieder unserem Job nachgehen, den wir so sehr lieben. Das ist wohl das schönste Highlight dieses Jahres.

Wir haben wieder tolle Momente kreiert für unzählige Musikliebhaber da draußen. Und das sollten wir einfach mal wirken lassen und uns bewusst machen, wie wertvoll das ist. Endlich konnte das Wort LEIDENSCHAFT wieder mit Leben gefüllt werden.

Es gab viele tolle, erfolgreiche Songs und Alben und Festivals, die unsere Herzen höher schlagen lassen haben. Die Highlights haben wir für euch hier zusammengefasst:

Diese DJs sind 2022 richtig durchgestartet
Das sind die 5 besten EDM-Alben 2022
Diese EDM-Songs haben 2022 dominiert
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Aber: Ich will an dieser Stelle auch drei Themen ansprechen, die mir Sorgen machen.

Die Gagen der DJs

Exorbitant hohe Gagen für DJs und die generell steigenden Kosten für Veranstalter und euch, die Community.

In der Pandemie hat sich der Stellenwert mancher (großer) DJs massiv verändert. Es gab DJs, die keine Musik mehr gemacht haben, auf den Socials nicht besonders aktiv waren und so die Bindung zu den Fans verloren haben. Trotzdem verlangen sie dieselbe Gage wie vor Corona — oder noch mehr.

Wie kann man so naiv sein und denken, dass Corona nicht Dinge verändert hat?

Wenn ein Act, keine Tickets mehr verkauft und sich die Fanbase minimiert hat, Songerfolge ausbleiben und auch die Show auf der Bühne nichts Besonderes mehr ist, dann sollte der Preis angepasst werden oder man fokussiert sich eben auf jene Märkte, in denen man noch funktioniert. Den Preis aber künstlich hochzuhalten, hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Gesamtmarkt, es schadet auch der Marke. Die Community da draußen, sie ist nicht blöd. Sie weiß ganz genau, wieso beispielsweise Solo-DJ-Shows abgesagt werden … wenn Veranstalter sich allerdings nicht informieren und die viel zu hohen Gagen bezahlen, schaden auch sie dem Gesamtmarkt. Teure Line-ups können sich nicht mehr alle Festivals leisten. Zu hoch sind die anderen Kosten. Ein Beispiel: Mobile Toilettenkabinen kosten inzwischen das Doppelte, als noch vor Pandemiezeiten.

Es spricht nichts dagegen für Legenden auf dem Markt, wie beispielsweise David Guetta es ist, mal ordentlich Kohle auf den Tisch zu legen. Das ist in anderen Musikgenres noch extremer, etwa im Pop und Hip-Hop. Unterschied hier ist allerdings, dass die meisten Künstler ganze Stadien füllen.

Jeder sollte seinen Wert kennen und vor allem sollte jeder gewissenhaft handeln und keine Acts verkaufen, die eine mittelmäßige, langweilige Show liefern.

Ticketpreise werden ohnehin schon teurer, wegen steigernder Kosten.

Tickets

Die Drogen in unserer Szene

Das zweite Thema möchte ich etwas spitz einleiten. Böse Zungen mögen es so ausdrücken: In so manchen Backstage-Bereichen der Szene schneit es häufiger als in Ischgl. Koks ist in unserer Szene inzwischen so gebräuchlich wie der Tee bei einer Erkältung. Und ich rede an dieser Stelle nicht von Gelegenheits-Koksern. Ab und zu kiffen oder gelegentlich Drogen zu konsumieren, ist okay – zumindest für den Großteil unserer Szene. Ich habe wochenlang recherchiert, mit vielen DJs, Bookern und Managern gesprochen – die wenigsten feiern, was sie da tun. Es ist mehr ein Wegrennen vor Stress, ein Kompensieren von „etwas“. Sich wieder spüren, mitschwimmen, einfach das tun, was alle tun.

Das ist schade und erschreckend. Manager wie DJs beschreiben Ängste, großen Druck. Viel zu oft habe ich den Satz gehört „Man macht es halt einfach“. Bitte versteht mich nicht falsch, jeder kann tun und lassen, was er will, aber wenn es vielen Menschen unserer Branche offensichtlich nicht gut geht und sie nur auf Drogen klarkommen, ist das nicht unbedingt ein gutes Signal.

Und nur, weil das immer schon so war im fetten Musikbiz, machts das ja nicht besser.

Drogen

Das Thema mentale Gesundheit

Vor allem, weil auch immer mehr Menschen wirklich mit ihrer mentalen Gesundheit struggeln. Thema Nummer drei. Um nur mal ein paar Namen in den Raum zu werfen: Hardwell, Felix Jaehn, Carnage, Deadmau5 – sie alle haben sich schon Auszeiten genommen, weil es einfach nicht mehr ging. Das ständige Unterwegssein, das steckt nicht jeder so leicht weg. Und es sind längst nicht nur die Künstler, die kämpfen. Es sind auch die Manager. Sie sind manchmal einem noch krasseren Druck ausgesetzt. Nur will das keiner hören und es wird noch weniger darüber gesprochen. Weil Schwäche eben immer noch negativ assoziiert wird. Wer stark ist, ist gut. Wer schwach ist, ist schlecht. Das ist Schwachsinn, aber leider Realität im Denken so vieler. Das Resultat ist ein ewig langer Rattenschwanz. Nach dem Tod von Avicii sollte sich so viel ändern. Es wird mehr geredet, ja. Aber noch nicht genug. Es geht oft immer noch ums altbekannte: schneller, besser, weiter – ohne Pause.

Umso schlimmer, wenn mentale Gesundheit missbraucht und für einen leeren Tourkalender genutzt wird. Ja, richtig gelesen!

Inzwischen gibt es Acts, die Probleme mit mentaler Gesundheit vorschieben, um zu kaschieren, dass sie nicht genügend Shows haben. Beide Punkte machen mir Sorgen.

Der eine, weil, ich sage es noch mal: Gesundheit unser wichtigstes Gut im Leben ist und wir alles daran setzen sollten, sie zu wahren. Für uns und unsere Liebsten.

Der andere, weil mentale Probleme scheinbar nicht immer ernst genommen werden.

Es gibt Menschen da draußen, die das billigend in Kauf nehmen, kaum einer sagt etwas. Das wäre zu schwer, zu besserwisserisch, zu anmaßend. Aber ist es nicht ebenso anmaßend, nichts zu sagen?

Die guten Moves zählen

Man muss nicht immer mit dem Finger auf Leute zeigen. Das ist richtig. Niemand macht alles richtig. Wir sind Menschen – und Menschen machen Fehler. Sich auf die Schulter zu klopfen, wenn man einen Act an einen Promoter für viel zu hohe Gage verkauft oder dem Team zu danken, weil die Marketingaktion „Ich hab Probleme“ geklappt hat, ist aber doch wirklich nichts, worauf man stolz sein sollte. In der Branche, wie im Leben, zählen die guten Moves. Auch wenn man für die schlechten leider eher in Erinnerung bleibt.

In diesem Sinne: Seid nächstes Jahr gut zueinander, redet offen über Probleme und Gefühle, nehmt euch Auszeiten, wenn es nicht mehr geht, bringt unsere so wunderschöne Branche nach vorn, mit Mut und Leidenschaft, gegenseitigem Respekt und Ehrlichkeit.

Dies ist ein Kommentar. Er spiegelt nicht die Meinung der Redaktion, sondern ist die Meinung der Autorin.

Deine Meinung ist gefragt!

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Katrin Fuhrmann

Katrin Fuhrmann