Interview mit einem Musikpsychologen: Darum tanzen wir gerne

Interview mit einem Musikpsychologen: Darum tanzen wir gerne

Die Festival Saison ist eröffnet und bereits in vollem Gange. Jedes Jahr wieder stürmen tausende Menschen aus unterschiedlichen Ländern zu den EDM Get-Togethers und raven. Aber warum eigentlich – was ist an den Festivals so besonders, woher kommt der Drang dort hinzugehen? Unsere Redakteurin Marie hat darüber mit Univ.-Prof. Dr. Richard Parncutt gesprochen, der erklärt, was Festivals mit unserer Psyche anstellen.

Raven, tanzen, rhythmisch bewegen: Wieso machen wir das eigentlich?

Wer könnte besser darüber Bescheid wissen, warum wir gerne auf Musikfestivals gehen, als ein Musikpsychologe? Univ.-Prof. Dr. Richard Parncutt, der in Graz (Österreich) das „Centre for Systematic Musicology“ leitet, hat uns dabei geholfen diese Frage zu klären. Der Musikpsychologe studierte in Australien Musik und Physik und erhielt seinen Doktortitel, indem er sich mit Themenfeldern wie Psychoakustik, Psychologie und Musiktheorie beschäftigte.

Herr Professor Parncutt, um die zentrale Frage gleich zu klären: Warum raven wir gerne – woher kommt das? Was lösen Festivalbesuche in unserem Körper aus?

Die Frage an sich hängt gar nicht so stark mit Musik zusammen. In allen Kulturen der menschlichen Geschichte – was wir auch durch die Archäologie bestätigen können – gab es Rituale. Zu diesen Ritualen gehörten zum Beispiel Heilungspraktiken, die Kontaktaufnahme mit Geistern und die Einnahme von Drogen. Musik war dabei ein ständiger Wegbegleiter (singen, tanzen etc.).

Derartige Kombinationen können den Bewusstseinszustand der TeilnehmerInnen stark verändern. Die Grundfrage ist also, warum Menschen überhaupt ihren Bewusstseinszustand ändern wollen?

Forschungen im Bereich der Neurowissenschaft haben festgestellt, dass Musik ähnlich wie Schokolade und Sex auf unser Gehirn wirkt. Grundsätzlich können Festivals also Freude bei uns auslösen.

In meiner durchgeführten Forschung habe ich die Frage gestellt, inwieweit die Zeit im Mutterleib für solche Effekte verantwortlich ist. Warum mögen Menschen Musik, wie gehen sie damit um? Warum gibt es überhaupt Musik? Der Fötus (Kind) kann im Mutterleib schon ab der zwanzigsten Woche die internen Geräusche des mütterlichen Körpers wahrnehmen. Musik selbst ist für den Fötus vermutlich bedeutungslos.

Bedeutungsvoll dagegen ist der Klang der mütterlichen Stimme, des mütterlichen Herzens und der mütterlichen Schritte (beim Gehen), weil in diesen Klangmustern der emotionale Zustand der Mutter herauszuhören ist. Um „Musikgeschmack“ geht es also nicht, sondern um das grundsätzliche Empfinden universeller musikalischer Muster wie Melodie und Rhythmus und die Verbindung zwischen Rhythmus und Bewegung. Denn: Der Fötus ist ständig in Bewegung während die Mutter geht und zwar synchron. Wichtiger Zusatz: All das ist möglich, obwohl der Fötus nichts bewusst wahrnehmen kann, also nichts „erlebt“ oder „denkt“, keine „Intentionen“ hat usw.

Welche Faktoren spielen laut ihrer Meinung eine wichtige Rolle, warum Menschen jährlich Festivals besuchen und dort tanzen?

Das ist zwar nicht ganz mein Feld, aber plausible Gründen können unter anderem Gewohnheiten, der Erlebnisfaktor, Spaß, Eskapismus (Realitätsflucht) und das Beisammensein mit anderen Menschen sein.

Können Festivals durch die Musik auch eine therapeutische Wirkung auf den menschlichen Körper haben? Kann man sogar vielleicht von Stressreduktion reden?

Generell hat Musik oft einen starken therapeutischen Effekt auf unseren Körper und unsere Psyche – oder beides. Aber: Das hängt auch vom Kontext der Musik ab, deren Bedeutung und es kommt auch auf die Person an. Festivals können einerseits therapierend wirken und Stress reduzieren, oder eben auch Stress verursachen. Das hängt alles von der Person und der Situation ab.

Hat elektronische Musik, wie EDM, eine besondere Wirkung auf den menschlichen Körper? Ist diese Art der Musik besonders stimulierend oder aktivierend?

Sehr rhythmische Musik mit „Groove“ bringt uns bekanntlich zum Tanzen. Warum das so ist, darüber herrscht kein Konsens in der Wissenschaft, es gibt mehrere mögliche Gründe.

Ich gehe von folgender Überlegung aus, die ich zuvor angeschnitten habe: Wenn die Mutter geht, bewegt sich der Fötus (Kind) im Bauch synchron mit. Das könnte erklären, warum wir tanzen wollen, wenn wir rhythmische Musik hören.

Der Effekt den Musik auf uns hat, hängt auch davon ab, wie rhythmisch sie ist, was für eine Klangfarbe sie hat, wie laut sie ist, ob sie uns auch vertraut ist und ob wir sie mögen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass eine gewisse Musikrichtung einen speziellen Effekt ausübt, dann liegt das oft daran, dass sie sich stark mit der Musikrichtung identifizieren. Grufties finden Gothik cool, weil sie selbst gern Grufties sind. Wer EDM nicht mag, ist vielleicht der Meinung, dass EDM keinen besonderen Effekt hat.

Als letzte Frage hätte ich noch gerne von Ihnen gewusst, wann Sie davon abraten würden auf ein Festival zu gehen?

Für diese Frage bin ich vielleicht nicht der Richtige, aber das hängt wahrscheinlich nicht mit der Musik per se zusammen. Allerdings gilt: Wer unter einer relevanten psychologischen Störung leidet oder für solche Situationen besonders sensibel ist, aus welchem Grund auch immer, soll vermutlich nicht auf ein Festival gehen. Dasselbe gilt natürlich auch bei Horrorfilmen und Co.

Herr Professor Parncutt, vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen!

PS: Hier könnt ihr mehr über die Forschung von Professor Parncutt lesen.

Credit: Rukes

Wusstest du schon...!?

Festivals sind nicht nur reine Erwachsenensache. Denn viele Veranstalter bieten mittlerweile auch Angebote für Kinder am Festival an. Zu diesen Festivals zählen beispielsweise schon: Das "Coachella Music Festival", "Lollapalooza Berlin", oder das "Juicy Beats Festival" in Dortmund. Ob sich der Trend wohl hält?


Marie Kaltenegger

Marie Kaltenegger