Tujamo: „Die Pandemie war eine Notbremse, die Gott sei Dank jemand anderes gezogen hat“

Tujamo: „Die Pandemie war eine Notbremse, die Gott sei Dank jemand anderes gezogen hat“

Wie es sich als Künstler anfühlt, nach zwei Jahren Pandemie so langsam wieder ins Business zu starten und welche Hoffnungen und Ängste damit verknüpft sind, darüber haben wir mit Tujamo im exklusiven DJ Mag Interview gesprochen – und selbstverständlich über seine Ordner mit 45 neuen Tracks!

Tujamo im Exklusiv-Interview mit dem DJ Mag Germany

Hi Tujamo! Erstmal nachträglich HAPPY BIRTHDAY. Du hattest jetzt gerade im Januar. Wie hast du gefeiert? Hast du überhaupt gefeiert? 

Danke! Ja, ich bin abends zu meiner Family zum Essen gefahren und am Wochenende habe ich dann noch mit zwei, drei Freunden gefeiert. Also total entspannt. Aber ich bin eh nicht so der Geburtstagstyp. Ich mag es nicht dann so im Mittelpunkt zu stehen. Ich bin immer froh, wenn das alles so einigermaßen gut über die Bühne geht.

Nach zwei Jahren Corona merke ich manchmal, dass ich mich auf Geburtstagen – oder überhaupt in Gegenwart von vielen Menschen –  schnell unwohl fühle. Wie geht’s dir da? Wie hast du die vergangenen zwei Jahre erlebt?  

Ich habe das „Alleinsein“ anfangs und teilweise auch heute noch genossen! Ich hatte vorher immer Trubel um mich herum. Es war immer laut, immer was was los, immer viele Menschen und für mich war das so „einfach mal Ruhe, einfach mal durchatmen“. Also ich muss sagen, das wird auch schwer, da wieder reinzukommen.

Das klingt ja als hättest du auch sehr viel Positives aus dieser Zeit mitgenommen…

Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben! Abseits von Pandemie & Co. und auch wohlwissend, dass einigen Leute (inklusive mir) die Arbeit für zwei Jahre genommen wurde – das war natürlich ein massiver Impact – aber für meinen kleinen ganz persönlichen Kreis kann ich sagen: Es waren die besten zwei Jahre der letzten zehn Jahre! Jeder Ausstehenden muss denken „Hä? Die letzten Jahre müssen doch mega geil für dich gewesen sein! Du bist um die Welt gereist, du hast die besten Festivals gespielt, die Leute haben dich angehimmelt!“. Nee, die letzten zwei Jahre jetzt, das waren die Besten! 

Tujamo sitzt

Warum genau?

Ich habe wieder zu mir selbst gefunden! Ich glaube, ich habe mich davor in einem Hamsterrad befunden und gar nicht bemerkt, dass ich eigentlich gar nicht mehr glücklich bin. Ich habe viele Sachen gemacht, weil ich dachte, ich müsste sie machen. Ich wäre wahrscheinlich in fünf Jahren einfach umgefallen und hätte dann gemerkt „Oh scheiße, irgendwas läuft hier schief“. Ich hatte diese körperlichen Anzeichen schon vorher, dass ich völlig erschöpft bin. Aber ich habe das immer so ein bisschen abgetan nach dem Motto „ach ja, ist anstrengend, aber ich muss das jetzt durchziehen“. Rückblickend betrachtet war die Pandemie eine Notbremse, die Gott sei Dank jemand anderes gezogen hat und nicht ich selber. Wie gesagt, wohlwissend, dass viele Leute gestorben sind – ich will jetzt nicht sagen „das war die schönste Zeit meines Lebens“! Aber für meinen kleinen Kosmos war es ein Segen. 
Und tatsächlich gab es Zeiten – so vor ein paar Wochen oder Monaten – wo ich Angst hatte, dass es wieder los geht. Das ist wirklich krass. 

Wenn man erstmal auf so einem Level mitspielt, wie du es tust, wie ist es dann, wenn man plötzlich feststellt: Mir geht’s nicht gut! Wie lange dauert es, aus diesem „Hamsterrad“ rauszukommen, wenn man eigentlich schon das ganze nächste Jahr verplant hat? 

Du hast es schon auf den Punkt gebracht: Die großen Festivals fangen schon sehr früh an, zu planen. Ich bin mir sicher, dass es einige Festivals gibt, die schon während des Festivals wissen, was nächstes Jahr passiert. Kleinere Clubshow werden vielleicht so zwei bis acht Monate im Voraus geplant. Das ist sehr unterschiedlich. Ich kann mir vorstellen, wenn man in einer Situation ist, in der man denkt „mir geht es gerade nicht gut und ich bin nicht sicher, was ich machen soll“ und wenn man dann ein eher unsicherer Mensch ist und sich nicht durchsetzen kann, dann ist es quasi fast unmöglich zu sagen „Ich schalte jetzt mal 2 Wochen ab“.  

Durchsetzen gegenüber dem Management?

Ja, das ist eigentlich so der klassische Anruf von der Agentur: „Ey, ich habe dir gerade was geschickt. Guck da mal rein. Das müssen wir eigentlich machen!” Entweder ist es ein Angebot, das finanziell attraktiv ist, oder es ist ein Angebot, wo man sagt „Das ist ein super Festival, da muss man dabei sein!“. Und vor der Pandemie habe ich mir die Sachen teilweise gar nicht erst angeguckt, sondern immer alles zugesagt: “Ok, machen wir! Müssen wir ja machen, du kannst ja nicht absagen!“ Damals dachte ich, dass meine Agentur sonst mega sauer ist. Heute ist mir klar: Ich bin derjenige, der das machen muss. Ich muss mich in den Flieger setzen und dahin jetten. Auf dem Papier macht das alles immer Sinn, wenn wir jetzt den Flug buchen, dann kann der noch fünf Stunden pennen und dann passt alles genau. Wie gesagt: Auf Papier immer super. Aber wenn du derjenige bist, der dann von A nach B fliegen muss und du schaffst es mal nicht in den fünf Stunden zu schlafen, dann geht der ganze Plan schon nicht mehr auf und du kommst ja nicht mehr hinterher, denn am nächsten Tag stehen die nächsten Termine an.

Über deinen Terminkalender 2022 reden wir gleich noch – ich möchte dich erst kurz auf ein Foto ansprechen, das du letztens gepostet hast: Ein Desktop Order mit dem Titel „Tujamo x 2022 / 45 Objekte“ – na, wenn das mal kein geiler Start ins neue Jahr ist mit 45 neuen Tracks!? 

Vielleicht sind es ja auch nur 45 neue Pressefotos (lacht)! Nein, es ist tatsächlich so, dass ich mich die letzten zwei Jahre nicht nur ausgeruht habe, sondern ich habe das gemacht, was ich in den acht Jahren davor vermisst habe und zwar Musik machen! Ich habe immer gerne im Studio gesessen – damals war es noch kein Studio, da war es ein Kinderzimmer –  und da saß ich vor dem Rechner und hab einfach produziert. Und dann – wir haben eben einmal über den Rattenschwanz geredet – wirst du auf einmal in etwas reingedrückt, wo du 120 Termine im Jahr machst. Wo du 250 Tage im Jahr unterwegs bist. Ich hatte gar nicht mehr die Zeit noch richtig Musik zu machen. Früher hat sich das so unbefangen angefühlt. Als ich angefangen habe, hat es niemanden interessiert, ob ich jetzt zwei Wochen an einem Song arbeite oder fünf Monate. Da konnte ich machen, was ich wollte. 

Weil du nicht diesen permanenten Reise-Stress hattest?  

Genau, ja….die letzten zwei Jahre haben sich einfach wieder genauso angefühlt wie am Anfang (…) und ich habe in dieser Zeit auch mega viel gelernt. Ich habe angefangen, Gesangsaufnahmen zu machen, habe ich früher nie gemacht. Es war ultraproduktiv und jetzt gibt es diesen Ordner mit 45 Dateien…ich bin mittlerweile bei über 60 Songideen, die sind alle zu 80 bis 90% fertig. Ich habe so unfassbar viel Musik fertig wie noch nie in meinem Leben…sonst hatte ich immer genau einen Song fertig. 

Einen dieser vielen neuen Tracks hast du Ende Januar schon released: “Down” – kannst du uns darüber was erzählen? 

Der Song ist einer der ersten Songs, die in der Corona Pandemie entstanden sind (…) ich war mit Kelvin Jones im Studio und die erste Frage war: Ok, was machen wir? Mir war klar, dass ich bisher immer nur diese Clubsongs hatte. Ich musste mich bei Calvin Harris, der Swedish House Mafia & Co bedienen, wenn ich ne große Nummer auf einer großen Festival-Stages spielen wollte…und ich habe immer gedacht: Ich muss selber mal so eine große Nummer machen! Ich muss selber mal eine Nummer machen, wo die Leute mitsingen, wo Emotionen mit drin sind, die aber trotzdem auf einer großen Bühne funktionieren und das hab ich versucht, Kelvin zu erklären und am Ende ist genau das rausgekommen: Eine Nummer, die ein bisschen mehr Tiefe hat als das, was ich vorher hatte. Ich habe sie letztes Jahr einmal auf einem Festival gespielt, wo ich die Möglichkeit hatte, das fühlt sich einfach richtig an. 

Warum wolltest du mit genau diesem Song ins Jahr 2022 starten?

Das hat damit zu tun, dass ich mir vorstellen kann, dass dieses Jahr festivalmäßig wieder einigermaßen was los sein wird und da hab ich gedacht, ich möchte den Song dann auch eigentlich schon spielen. Ich möchte, dass die Leute die Nummer dann schon kennen – also warum nicht direkt mit einer Nummer anfangen, wo ich genau dieses Aufbruchsfeeling hab!?

Tujamo

Dann lass uns doch mal einen Blick auf deine Bookings für diesen Sommer werfen: Ich seh erstmal relativ viele Termine in Kroatien…da scheint ja – trotz Corona -– schon wieder was zu gehen!? 

Ich glaube, die Kroation-Nummer ist wirklich schon in Stein gemeißelt. Die hatten letztes Jahr so ein gutes Sicherheitskonzept. Das war eine der wenigen Shows, die ich 2021 gespielt habe und die sind sich einfach zu 100% sicher, dass das klappt, weil es letztes Jahr in einem noch viel schlechteren Status funktioniert hat. Aber was mich trotzdem auch freut sind so große Festivals wie ein Neversea in Rumänien! Ich mein, da sind am Ende dann auch 60.000-70.000 Leute und ich glaube das ist auch genau das richtige Zeichen, das da gesetzt wird, dass die einfach durchziehen, dass sie es einfach machen…

Wie denkst du stehen die Chancen, dass es dieses Jahr klappt mit dem Festivalsommer? 

Ich weiß gar nicht wie ich das kurz in Worte fassen soll…ich finde irgendwann muss man mal ins Leben zurückfinden. Irgendwann muss man anfangen zu sagen „Was ist hier gerade noch in Relation und richtig?“. Ich sehe das auch, dass noch jeden Tag Leute sterben und es viele Neuinfektionen gibt – das ist natürlich absoluter Wahnsinn. Aber ich weiß auch nicht, ob es das richtige ist, sich komplett zu verkriechen!? Wir sind jetzt im dritten Jahr und ich finde es wirklich crazy, ich muss echt sagen: Ich glaube, wenn die dieses Jahr wieder keine Festivals und so machen, dann rasten die Leute irgendwann aus.

Und Ihr als DJs geht alle in die USA, oder? Ich seh das aktuell bei Gorgon City oder Disclosure …in den USA finden halt überall schon wieder Festivals und Tourneen statt! 

Ich warte ehrlich gesagt gerade auch auf die Erneuerung meines USA-Visums. Wenn hier nichts geht, geht es halt da weiter. Weißt du, wie es sich als Künstler anfühlt, wenn man Zuhause sitzt und sich hier testen lassen muss, um was essen zu gehen und dann guckst du in die Insta-Story von Tiësto, der in Las Vegas steht und dann noch da und dorthin fliegt – wie willst du das jemandem erklären? 

Versteh mich nicht falsch: Ich bin null dagegen…ich will mich auch nicht anstecken, ich bin wirklich vorsichtig, aber ich kann es nicht mehr nachvollziehen! Das macht mich echt traurig, dass wir hier den Kopf in den Sand stecken. Ich bin dafür, dass man so langsam wieder anfängt ein bisschen positiver zu denken!

In diesem Sinne…entlassen wir dich mit vielen positiven Vibes ins Jahr 2022 und hoffen, dich bald auf dem ein oder anderen Festival zu sehen! 

Tujamo zum PAROOKAVILLE

Das PAROOKAVILLE ist das für mich relevanteste Festival in Deutschland, wenn es um elektronische Musik geht. Das ist in meinem Sektor, anderthalb Stunden von meinem Zuhause entfernt und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viele Nachrichten ich an so einem Wochenende bekomme: „Ey, wieso bist du nicht hier? Hast du keinen Bock?“ Es ist leider viel Politik in diesem Business und ich konnte das die letzten Jahre nicht so ganz beeinflussen, dass ich da bin, sag ich mal ganz vorsichtig. Aber ich bin sehr froh jetzt wieder zurück zu sein. Das ist eine der Sachen, auf die ich mich am meisten freue dieses Jahr! 


Claudia Franzen

Claudia Franzen