Liebe Taz: Nicht alles, was wummert, ist Techno!

Liebe Taz: Nicht alles, was wummert, ist Techno!

Die taz-journalistin Laura Ewert hat vor wenigen Tagen einen Kommentar mit dem Titel “Gegen elektronische Musik: Techno muss sterben” veröffentlicht – über den sich unser stellvertretender Redaktionsleiter Henri Johna fürchterlich geärgert hat. Eine Antwort.

Techno muss nicht sterben – sondern einfach mal klarkommen!

Liebe Laura (ich hoffe es ist okay, wenn wir uns als mehr oder weniger alte “Raver” duzen), ich habe wirklich versucht deinen Kommentar zu verstehen. Doch nach mehrfacher Lektüre des Textes stellt sich mir immer noch die Frage: Was hat dich beim Schreiben eigentlich geritten? 

Zunächst zum Hintergrund: Klar, der Griessmühle geht es grade eher so semi-gut, und weil zwischen der alljährlichen Böller-Diskussion, der Bundesliga und Davos noch ein bisschen Platz war, landete das Thema in der Tagespresse. Da kann man dann auch mal als Nominierte für den Reporterpreis (wie du es ja bist) wieder einen Text über Techno für die Taz schreiben. “Techno muss sterben” ist dazu dann natürlich auch noch eine echt fetzige Headline. Aufhänger identifiziert, Überschrift gefunden – der Inhalt war dann halt zweitrangig. Rezo würde sagen: Ya lol ey.

Aber gut, reden wir über die Aussage. Dass dir die Musik in den Clubs dieser Welt zurzeit nicht gefällt, ist natürlich schade. Daraus aber direkt einen Abgesang auf die Techno-Szene oder am liebsten gleich die gesamte Elektronische Musik anzustimmen, ist dann doch ein wenig – sagen wir mal – fragwürdig. Oder eben einfach narzisstisch. Und fast noch schlimmer: Faktisch falsch.

Don’t Hate – Create!

Leider hat dieser Narzissmus und die daraus resultierende schlechte Recherchearbeit quasi den gesamten Pool an Menschen ergriffen, die für selbsternannte Qualitätsmedien über elektronische Musik schreiben. Und dieser Narzissmus trägt auch die Schuld daran, dass inzwischen wieder andere Genres im Fokus der Jugend stehen. Weil einfach keiner Bock hat, mit den Leuten nach Feierabend abzuhängen, von denen in der Presse immer nur narzisstischer Mist zu lesen ist.

Dieser Narzissmus äußert sich dadurch, dass eben diese Kommentatoren, deren Berührungspunkt mit elektronischer Musik halt meistens die eigene Vorliebe für Techno ist, dauernd möglichst pathetisch über “EDM” herzuziehen. Das Selbstverständnis: “Die elektronische Musik, das sind eigentlich wir. Der Rest ist kapitalistische Scheiße”. Leider nein, leider gar nicht. 

Toleranz – außer für die anderen

Liebe Laura, du hast Recht, wenn du sagst, dass die Szene zergliedert ist. War sie aber auch schon davor. Weil eben Techno nicht das Gleiche ist wie elektronische Musik. Wenn auf der Mainstage vom Tomorrowland neben Carl Cox auch die Chainsmokers spielen, dann ist das keine Beleidigung von Techno oder der Club- oder Festivalkultur. Es ist ein Abbild der Vielseitigkeit der elektronischen Musik.

Und da kommen wir auch zu dem besonders paradoxen an den Positionen der Raver-Kommentatoren vieler Tages- und Wochenzeitungen (und damit auch zu dir): Gerne predigt man Vielfalt, Toleranz und künstlerische Freiheit – wenn dann aber jemand Musik mit dem gleichen Programm und der gleichen BPM-Zahl wie das eigene Lieblings-Genre, dafür aber mit Gesang macht, dann ist das sofort scheiße. Ganz schön heuchlerisch. Besonders schlimm wird’s dann, wenn die Taz als links-grüne Zeitung, die ja Vielfalt eigentlich feiern müsste, das auch noch veröffentlicht. Aua.

Versteh mich nicht falsch: Die Techno-Szene darf zurecht stolz auf ihre Kreativität und die eigenhändig angestoßenen gesellschaftlichen Veränderungen sein. Aber deswegen ist elektronische Musik noch lange nicht nur Techno und der Rest nur krankhafte Auswüchse. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass ich nicht verstehe, wie bei so vielen Leuten, die über Techno schreiben, dieser Eindruck entstanden ist. Um hier die Sorgfalts- und Wahrheitspflicht zu wahren, empfehle ich eine kleine Google-Suche zum Thema “Geschichte der elektronischen Musik”.

Probiert’s mal mit Gemütlichkeit

Das schöne ist: Wenn man all das erkennt, dann merkt man schnell, dass die aus solchen Verirrungen entsprungenen Thesen über Techno bzw. die elektronische Musikszene eigentlich Quatsch sind. Daher braucht Techno auch keinen Aderlass, muss keine Politiker aus Clubs schmeißen oder versuchen anderen Genres (oder sich selbst) eine antikapitalistische Haltung vorzuschreiben. Techno muss auch nicht die DJs zwingen, als mittellose Einsiedler zu leben oder sie dazu nötigen ihren Instagram-Kanal zu löschen, um zu überleben.

Was Techno braucht, ist, dass seine Meinungsmacher einsehen, dass Techno eben nicht den alleinigen Anspruch hat elektronische Musik zu sein. House, Psychedelic, Hardstyle, Dubstep – all das ist genauso elektronische Musik. Das Haus gehört nicht euch. Euch gehört nur eine der Wohnungen. Es liegt an euch, ob ihr in diesem Haus gute Nachbarn sein wollt, oder ob ihr zu dem einzigen Bewohner werdet, der nicht zum Hoffest eingeladen wird.

Mein Tipp: Entscheidet euch für ersteres. Eine gewisse Gemütlichkeit und eine Harmonie im Umfeld sorgt schließlich auch für ein Gefühl von Geborgenheit und Glückseligkeit. Probiert’s mal aus – vielleicht klappt’s dann ja wieder mit dem Herzschlag auf 115 BPM. Oder auf 75. Oder auf 150. Oder eben auf 128.

Liebe Grüße
Henri

PS: Über Kunst kann man immer streiten, schreiben, reden und diskutieren. Aber auch hier gilt: Es hilft, wenn man sich vorher mit der Materie vertraut macht. Meine Kollegen und ich kommentieren gerne für alle Journalisten und/oder Verleger die aktuellen Entwicklungen im Bereich der elektronischen Musik in sorgfältiger und wahrheitsgetreuer Manier. Wir freuen uns auf den Austausch und würden uns daher über eine Mail an redaktion@djmag.de freuen.

Zur Geschichte

Die elektronische Musik hat ihren Ursprung im Aufkommen des Synthesizers als Instrument, wie beispielsweise dem Moog 1 in den 60ern. Danach entwickelten sich aus der damit produzierten Musik immer neue Untergenres. Aus Disco wurde beispielsweise Anfang der 80er House, Techno entstand dagegen erst gegen Ende der 80er Jahre.


Henri Johna

Henri Johna