Kommentar: Tour-Apokalypse: Wieso scheitern die Solo-DJ-Shows?

Kommentar: Tour-Apokalypse: Wieso scheitern die Solo-DJ-Shows?

Am Montag ist die Show der Swedish House Mafia in Frankfurt am Main abgesagt worden. Die bittere Wahrheit ist: Das ist und wird nicht das letzte Konzert sein, das nicht stattfinden wird. Die Ticketverkäufe in unserer Branche laufen miserabel. DJ-Soloshows stehen vor dem Aus. Ein Kommentar.

Adé DJ-Soloshows

Nicht ohne Grund liest man diese Tage immer wieder, dass die Konzert- und Veranstaltungsbranche an Long Covid leidet. Tatsächlich passt diese Formulierung zur Lage perfekt. Es trifft natürlich nicht nur DJs. Die Kölner Band Kassalla etwa hat ihre Europa-Tour abgesagt, genauso wie Revolverheld und viele andere Künstler. Aber bei DJs wird dieses Phänomen immer deutlicher. 

Während Megastar Robbie Williams, Rammstein, Helene Fischer oder auch Wincent Weiss zehntausende Menschen auf ihre Konzerte ziehen, wird die Luft für DJs hierzulande immer dünner. Mehrere Tourneen wurden in diesem Jahr schon zum Teil oder sogar ganz abgesagt. Der Grund dafür wird meist verschleiert und nicht klar kommuniziert. Manchmal heißt es, die Show werde zunächst aufs nächste Jahr „verschoben“ oder in eine andere Venue „verlegt“. Was nicht gesagt wird: Der Ticketverkauf läuft schlecht. 

Die Gründe für den mauen Andrang sind vielfältig: Es gibt ein Überangebot an Konzerten und Clubgigs, das Freizeitverhalten hat sich verändert und die Sorge vor steigenden Preisen spielt auch keine unbedeutende Rolle. EDM-Fans überlegen sich genau, wofür sie ihr Geld ausgeben. Es sind oft nicht mehr vier, fünf Festivals / Events im Jahr, sondern eins. Ein weiterer Punkt: In der Pandemie haben wir gelernt, wie schön es zu Hause ist. Das „Herumlungern“ oder Feiern im privaten Umfeld ist gefragter denn je. Das erlebe ich im Bekannten- und Freundeskreis immer wieder. Wir werden auch immer zögerlicher. Wir wollen uns nicht festlegen, zu groß ist die Auswahl. Oder vielleicht ist sie auch zu klein? In einer Gesellschaft, in der „schneller, besser, weiter“ so etabliert ist, ist es eben nicht leicht, sich für das Richtige zu entscheiden. So weit, so gut.

Club

Mehr Ehrlichkeit und Selbstkritik

Das große Problem ist allerdings weniger, dass der Kartenverkauf nicht gut läuft, man könnte ja stattdessen einfach kleinere Shows in kleineren Locations spielen. Eher geht es darum, das Image des DJs aufrechtzuerhalten. Mit aller Macht, um jeden Preis. Schließlich will man weiter die großen Gagen kassieren, auf den großen Festivals auflegen. Das ist zunächst nicht verwerflich. Es stecken viele Jahre harte Arbeit und oft zahlreiche Erfolge hinter den Projekten.

Aber ist das die Lösung? Nein! Die Realität sieht 2022 einfach anders aus! Ein wenig mehr Ehrlichkeit und Selbstkritik wären schon einmal ein Anfang – für die Branche, für die vielen Musikliebhaber.

Dennoch verschließen viele die Augen vor dieser bitteren Realität. Stattdessen werden Gagen mehr denn je in die Höhe getrieben. Booker verkaufen Acts für Preise, die jenseits vom Marktwert liegen, die komplett unrealistisch und nicht fair sind. Sie verkaufen Acts, die keine Tickets verkaufen, die keine Hallen füllen, die einfach nicht mehr am Puls der Zeit sind, weil sie während der Pandemie an Fans und Community verloren haben. Sie verkaufen Acts, weil es eben ihr Job ist und sie wissen oft um die Situation des jeweiligen Künstlers. Aber es ist eben ihr Job. Und ich sage das erneut mit aller Deutlichkeit, weil ich dafür Verständnis habe. Schließlich waren sie während der Pandemie quasi von heute auf morgen arbeitslos. Die Kritik geht aber genauso an die Promoter und Veranstalter: Wieso buchen sie so teure Acts überhaupt, wenn sie wissen, dass sie am Ende keine Tickets verkaufen? Wenn ein Act keine Fanbase mehr hat, der letzte Radiohit Jahre zurückliegt und die Show auch nicht mehr überzeugt, dann sollte man Acts nicht nur noch des Namens wegen auf die großen Bühnen holen. Am Ende siegt meiner Meinung nach immer die Qualität, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen und die Diskussion ist eine andere.

Trotzdem bleibt es dabei, dass Acts teilweise für viel zu hohe Preise verkauft werden. Das war schon immer so. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und es ärgert mich deswegen so, weil es nach einer der schwierigsten Zeiten jemals für unsere Branche passiert. Und vor allem nach jenen ach so tollen „Wir stehen zusammen“-Bekundungen in der Pandemie. Da war noch die Rede von „Diese Zeit schweißt uns zusammen“ und „Wir kommen stärker zurück als jemals zuvor.“ Plattitüden waren das. Geschwafel, wie man so schön sagt.

Versteht mich nicht falsch, ich find das auf gut Deutsch gesagt auch scheiße. Ich geh’ auch zu Shows von Acts, die sehr viel Geld gekostet haben. Weil ich es einfach lieb. Festivals und dieses ganze DJ-Ding sind eben voll MEIN DING. Und ja, vielleicht bin ich auch Teil des Problems – wir supporten hier ja schließlich auch Acts, die Millionen verdienen. Aber ich war schon immer ein Freund davon, Dinge zu benennen und die Branche immer wieder zu reflektieren.

Wieso gesteht sich keiner ein, dass die Pandemie nun mal vieles verändert hat? Wieso suchen wir nicht gemeinsam nach Lösungen? Und wieso sind wir nicht einfach mal bedingungslos ehrlich? Für die Fans, für die Community, die seit Jahren treu an unserer Seite steht.

Feiern

Fans haben den Bezug zu vielen DJs verloren

Jeder von uns hat sich in dieser Pandemie zwangsläufig irgendwie verändert. Man musste eben das Beste aus der Situation machen. Aber die Zeit hat sich weiter gedreht. Und Fans haben den Bezug zu vielen DJs verloren. Manche DJs haben in der Pandemie weder Shows gespielt, noch Musik releast. Sie haben sich verständlicherweise auch endlich mal um sich gekümmert, um ihre Familien, um ihre Gesundheit. Das find’ ich gut. Aber wie kann man so naiv sein, zwei Jahre gewissermaßen weg zu sein, und wiederzukommen und zu denken, dass alles ist beim Alten ist? Dass die Community einem weiterhin bedingungslos folgt, die Mukke hört und auf jeder Show kreischend vor der Stage steht? Das altbekannte Sprichwort „aus dem Auge, aus dem Sinn“, macht das Problem deutlich. Wer früher seinen Lieblings-DJs mehrere Male im Jahr auf einem Festival gesehen hat, hat natürlich einen anderen Bezug zu ihm, als wenn er nur alle paar Wochen mal ein Bild auf Instagram sieht. 

Wieso verkauft ein Wincent Weiss dann aber Tickets und DJs nicht? Ich habe auf die Frage keine einfache Antwort, aber was ich so mitbekomme, fehlt es DJs immer mehr an Einzigartigkeit, Emotionen und echten Showkonzepten. Sie reißen die Massen nicht mehr so mit wie früher. Sie haben oft keine richtige Fanbase mehr. Anders als ein Wincent Weiss, der sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib singt, spielen DJs, ganz einfach gesprochen, eben „nur“ Musik. Ich selbst als großer EDM- und Festival-Fan kann sagen, an meiner Leidenschaft hat sich nichts geändert. Sie ist sogar größer denn je. Aber ich führe auch viele Gespräche mit Bookern, Veranstaltern, Managern, Künstlern und eben auch unseren Lesern. Da ist der Tenor ein viel kritischer. 

Ich wünsche mir, dass wir alle ehrlich zueinander sind. Gagen hinterfragen, aber auch Verständnis dafür haben, wenn Festivaltickets teurer werden, weil eben alles irgendwie teurer wird. Ich weiß, das ist kein Argument. Aber nur mal am Rande: Dixi-Toiletten für Festivals kosten heute das Doppelte, als noch vor der Pandemie. Ich wünsche mir, dass wir unser Versprechen „unsere Szene kommt stärker zurück, als jemals zuvor“ halten und ich wünsche mir, dass alle DJs, alle Booker, alle Manager, alle Veranstalter, alle Labels und jeder, der das gerade hier liest, einsehen, dass wir offener über diese Themen sprechen müssen. Weil sie uns alle betreffen. Wir arbeiten in einer der schönsten Branchen überhaupt. Wir sind eine so große, bunte, tolle Community – wir müssen aber auch zuhören und Dinge verändern, damit sie besser werden.

Fotocredit: MarcbxlexpoP12 Empty Hall, Zugeschnitten, CC BY-SA 4.0

Auf zum ADE!

Wer sich übrigens mal zu solchen Themen austauschen will, der sollte beim Amsterdam Dance Event im Oktober nicht nur die coolen Parties besuchen, sondern auch mal einen Abstecher zu den Panel Talks und 1:1 Interviews machen. Hier lernt man immer spannende Leute kennen, die super viele Insights in die Branche geben – und sich auch kritisch mit Themen auseinandersetzen. Erweitert den Horizont – und das eigene Netzwerk.


Katrin Fuhrmann

Katrin Fuhrmann