Im Interview: So hat Paul Kalkbrenner die Wiedervereinigung erlebt!

Im Interview: So hat Paul Kalkbrenner die Wiedervereinigung erlebt!

Paul Kalkbrenner ist im Osten aufgewachsen und war bei der Wiedervereinigung 13 Jahre alt. Der heute 41-Jährige hat den deutschen Techno geprägt und liefert einzigartige Live-Sets. In diesem Jahr ist sein bereits achtes Album erschienen, in Kürze startet seine Europatour. Zum Tag der Deutschen Einheit haben wir exklusiv mit Paul Kalkbrenner darüber gesprochen, wie er die Wende erlebt hat. Außerdem hat er uns im Exklusiv-Interview erzählt, warum es Techno heute leichter hat als früher – und gerade das ein Problem ist.

Paul Kalkbrenner im Exklusiv-Interview mit dem DJ Mag Germany

Paul, Du warst bei der Wiedervereinigung 1990 13 Jahre alt. Wie hast Du die Wende erlebt?

Das war schon eine sehr aufregende Phase in meinem Leben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir an der Mauer gespechtet und Steine abgeschlagen haben – die haben wir dann wiederum verkauft, um uns davon Mickey Mouse-Hefte zu kaufen. Ich war halt noch ein Kind und zu jener Zeit noch total „untechno“. Man hat sich auch nicht so oft nach Berlin-Mitte getraut, wo die ganzen Clubs waren. 

1992, nur zwei Jahre später, hast Du dann aber angefangen, in Clubs aufzulegen. Wie kaum ein anderer deutscher Musiker hast Du es zu jener Zeit geschafft, die Menschen mit Deiner Musik abzuholen. Techno wurde zum Lebensgefühl. Wieso?

Nach zehn, 20 Jahren Rock und Politikrock hatten die Leute einfach mal Lust auf unpolitisierte Musik ohne Texte, die global verständlich war. Hinzu kommt ja nun mal auch, dass die Menschen unserer Epoche sich in der musikalisch-rhythmischen Struktur wohl fühlen und ihnen diese Musik ein Gefühl von Sicherheit gibt. Die meisten blickten mit dem Ende der DDR in eine Zukunft voller Hoffnung und davon hat der Techno profitiert.

Inwiefern?

Mit der Wende ist das Interesse gewachsen, weil es plötzlich mit alten Schlachthöfen und Fabriken einfach viel coolere Locations gab. Im Westen gab es schon jahrelang Technopartys. Aber eher in Discos und Kartoffelkellern, wo nicht mehr als 30 Leute reingepasst haben. Plötzlich hatte man viel mehr Möglichkeiten.

Philosophierst Du gerne?

Puuuuuh.

Werden wir konkreter: Glaubst Du, dass es Techno in diesem Maße auch ohne die Wende gegeben hätte?

Ja. Die Technobewegung kam ja mit Acid-House schon 1988 aus England nach Westeuropa und sie hätten sicher auch ohne den Mauerfall weitergemacht. Ich denke sogar, dass die Musik für die DDR-Führungsspitze vielleicht sogar willkommen gewesen wäre. Sie hätten dann eine Musik propagieren können, die ohne rebellische Texte ausgekommen wäre. Ich bin mir fast sicher, dass sie nichts gegen diese Musik gehabt hätten.

Wäre Techno denn anders gewesen, wenn die Wende und der Osten nicht so viel Einfluss gehabt hätten? 

Das ist schwer zu sagen. Irgendwie hätte sich Techno sicher auch weiter fort- und durchgesetzt. Aber Techno wäre sicher ausschließlich in Clubs geblieben und hätte sich nicht so ausbreiten können.

Viele „neue“ Fans kennen den „alten“ Paul vermutlich gar nicht mehr. Wie würdest Du dich ihnen beschreiben?

Ich habe tatsächlich Fans in allen Altersgruppen. Die kennen meine Anfänge ganz genau. Viele Leute sind heute erst 18 Jahre alt und sagen mir, dass meine Musik sie durch ihre Kindheit und Jugend begleitet hat. Jetzt sind sie volljährig und dürfen endlich losziehen. Ich muss mir um das Alter meiner Fans komischerweise keine Sorgen machen. Die wachsen nach. „Berlin Calling“ hat dazu geführt, dass ganze Familien gemeinsam auf mich aufmerksam wurden – Vater, Mutter, das 15-jährige Kind und die Oma. Ich finde es total schön, wenn Eltern mit ihren Kindern die gleiche Musik hören und dann zusammen auf meine Konzerte kommen. Ich mache gerne Techno für Fans von acht bis 88 Jahren.

Du hast gerade den Kultfilm „Berlin Calling“ angesprochen. Wie wichtig ist der Film rückblickend für deine Karriere gewesen?

Sehr wichtig. Vor dem Film war ich zwar in der Technoszene angesagt, aber die breite Masse kannte mich nicht. Der Film hat dafür gesorgt, dass ich die Chance bekam, breiteren Schichten meine Musik näherzubringen. Viele sind durch den Film auf meine früheren Alben erst aufmerksam geworden. Viele Platten wurden plötzlich viel mehr verkauft, als zu jenem Zeitpunkt, als sie erschienen sind. Ich werde übrigens nie das Taxi in Indien vergessen, dessen Innenraum komplett mit Paul Kalkbrenner-Merchandise geschmückt war – und der Fahrer war geschätzt 100 Jahre alt. 

Viele Touristen, die nach Berlin kommen, wollen die Geschichte der Technokultur nachempfinden. Welche Orte kannst Du da empfehlen?

Die müssen ins Jahr 2007 zurückreisen – da haben wir Berlin Calling gedreht. Da würden sie das erst kürzlich eröffnete Berghain sehen – oder eben in die Zeit der 90er. Diesen Berliner Techno-Flair gibt es im Jahr 2018 nicht mehr…

Paul Kalkbrenner on stage

Hat es der Techno also heute schwerer als früher?

Nein er hat es leichter und genau das ist das Problem. 

Kannst Du das genauer erläutern?

Dass mittlerweile jeder ein Buch veröffentlichen kann, hat ja auch nicht dazu geführt, dass die Qualität gestiegen ist. So ähnlich ist das auch mit der Musik. Mit Sicherheit kannst du nach Berlin reisen und da in ein paar Clubs gehen, aber dann spürst du noch lang nicht, dieses Flair von damals. Das sind eher Touristenveranstaltungen.

Also ist Techno nichts Besonderes mehr? 

Nein. Wenn man Dinge zum ersten Mal erlebt, sind sie noch ganz toll und besonders und dann irgendwann nicht mehr. Der Mensch gewöhnt sich an alles – und eben auch an die Musik.

Lass uns noch ein bisschen über deine Musik reden. Wie viel Wende steckt in deinem im Mai erschienenen achten Album „Parts of Life“?

Überhaupt nichts. Es wäre gelogen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Da kann sich ja jeder Mal reflektieren und sich fragen, wie gegenwärtig Erfahrungen von vor 30 Jahren heute noch sind… Es ist vorbei. Generell ist es völliger Quatsch, wenn Künstler sagen, dass sie etwa von einem wunderschönen Sonnenuntergang während einer Reise in Indien oder sonst wo auf der Welt, inspiriert worden sind. Das ist viel zu abstrakt und stimmt einfach nie. Gerade elektronische Musik passiert beim Arbeiten. Selten gehen Produzenten mit einer riesen Idee ins Studio  – da entsteht vieles beim Machen. Wir sollten generell nicht so vermessen sein und behaupten wir prägen unsere Zeit wie Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel die ihre.

Dein Sound steht für ehrlichen und treibenden Techno. Viele DJs probieren sich allerdings auch mit Kollaborationen in anderen Genres aus: Wirst Du dir da immer treu bleiben?

Ja, meine Musik ist aus einem Guss. Ich bin ein guter Geschichtenerzähler, der sich dadurch auszeichnet, immer wieder die gleiche Geschichte, neu zu erzählen. Man darf nie direkt zum heißen Scheiß dazugehören – sonst ist man nach zwei Jahren wieder out. Man muss authentisch sein.

Das bist Du mit deinem Technik-Setup und deinen Controllern definitiv. Wie wird das Live- Mischen von anderen Künstlern beurteilt?

Ich arrangiere bereits bekannte Songs auf der Bühne komplett neu. Früher, als es noch keine Computer gab, habe ich meine Dat-Kassette angeschmissen auf „record“ gedrückt und dann in fünf Minuten versucht, den Song so aufzubauen, dass es passt. Wenn ich die falsche Taste gedrückt habe, musste ich noch einmal von vorne beginnen – manchmal 20 Mal. Nur deswegen kann ich so gut live spielen. Hätte ich zehn Jahre später angefangen und am Computer Musik gemacht, könnte ich das nicht. Mein Live Set-Up ist einzigartig. Wie ich auf der Bühne Musik mache, kann sonst niemand. 25 Jahre Übung, schafft eben einen Meister.

Und was für Musik hört ein Meister, wenn er kocht?

Keine. Ich höre keine Musik, wenn ich irgendetwas anderes mache. Wenn ich Musik höre, gebe ich mich ihr völlig hin. Ich höre übrigens nur klassische Musik, also Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel. An deren Leistung wird auch niemals mehr irgendein Künstler rankommen.

Deine Tour zu Parts of Live steht in den Startlöchern. Was bedeutet für dich eine Live Show? 

Mir bedeuten Touren sehr viel. Ich bin nicht mehr so aufgeregt wie früher. Nach so vielen Jahren besteht die Kunst darin, sich immer weiter motivieren zu können. Jeder, der zum Konzert kommt, muss danach uneingeschränkt das Gefühl haben: „Das was er da macht, macht er aus tiefstem Herzen“. Der Einsatz muss stimmen und ich strebe ohnehin immer zur Perfektion.

Paul Kalkbrenner lacht

Das heißt, alle die deine Tour besuchen, können sich auf zwei Stunden pure Perfektion freuen?

Absolut. Wir bereiten gerade alles vor und ohne mich selbst loben zu wollen: Es wird richtig gut. Ich wollte bei der Tour jetzt nicht in Mehrzweckarenen spielen, sondern eher in etwas kleineren, schöneren Locations.

Zu guter Letzt: Lieber eine kühle Limonade bei Sonnenuntergang an der Berliner Spree oder mit den Bayern in der Kabine den Sieg feiern?

Je älter ich werde, umso lieber bin ich alleine. Ich fahre auch gerne stundenlang einfach nur mit einem meiner Oldtimer durch Berlin. Das Radio schalte ich dabei bewusst aus. Nur ich und das Auto…

Du bist also gerne alleine?

Ja. Wenn ich mein Glück in der Geselligkeit finden würde, wäre ich nicht so weit gekommen. Die Arbeit im Studio, ist eine sehr einsame. Das muss man trainieren und mögen. Das ist genauso wie mit dem Reisen. Wenn man irgendwann an den Punkt kommt, an dem man darauf keinen Bock mehr hat, dann war es das eigentlich schon mit der Karriere. Die Dinge zu mögen, die man tut, darin besteht am Ende die Kunst. Und ich mag das, was ich tue nach wie vor. 

Vielen Dank für das Interview, Paul und viel Erfolg für deine Tour!

Credit: Olaf Heine


Katrin Fuhrmann

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