10 Tracks, die elektronische und klassische Musik grandios vereinen

10 Tracks, die elektronische und klassische Musik grandios vereinen

Elektronische und klassische Musik nähern sich schon seit Langem immer näher einander an. Arrangements von Produzenten elektronischer Beats werden komplexer, klassisch ausgebildete Musiker*innen arbeiten immer lieber mit DJs zusammen. Einige elektronische Tracks stachen in der Vergangenheit immer wieder heraus, viele weitere werden sicherlich noch kommen.

Wir haben uns einmal durch jüngere wie ältere Produktionen gehört und eine Auswahl an 10 Tracks getroffen, denen der Spagat zwischen elektronischer und klassischer Musik in unseren Augen auf faszinierende Weise gelungen ist.

1. Aphex Twin – Avril 14th

Wir fangen gleich mit einem Stück an, das zeigt, wie schmal der Grat zwischen elektronischer und klassischer Musik sein kann. Und wie wenig man das eine manchmal sogar vom anderen unterscheiden kann.

Aphex Twin (Richard David James) lässt sich wohl als einer der einflussreichsten Künstler im Bereich der elektronischen Musik bezeichnen. Mit Alben, wie Selected Ambient Works, I Care Because You Do und Come to daddy hat er Musikgeschichte geschrieben.

Umso spannender ist, dass sein eventuell heute bekanntester Track Avril 14th nicht einmal nur für Laienohren vermeintlich überhaupt nicht elektronisch klingt. Knapp über zwei Minuten streichelt Aphex Twin hier dem Piano hier scheinbar schüchtern eine Melodie aus dem Bauch. Doch das kleine Stück entwickelt spätestens beim wiederholten Hören eine derartige Kraft, dass Hörer*innen immer wieder darauf zurückkommen. Auch Filmemacher*innen geht es so. Avril 14th wurde in Marie Antoinette (2006), Four Lions (2010) und in Her (2013) verwendet. Außerdem wollte sich Kanye West an dem Stück bedienen und gab es sogar für sein eigenes aus.

Aufgenommen hat Aphex Twin den Track auf einem Disklavier – einem Klavier mit einem Mechanismus, der MIDI-Daten liest und das Keyboard ohne menschliche Ausgabe spielt. Das Klicken des Mechanismus lässt sich auf der Aufnahme hören. So klingt das Ergebnis irgendwie menschlich, aber irgendwie auch nicht so ganz.

2. Carl Craig – Darkness 

Ebenfalls zu den spannendsten Stücken dieser Liste dürfte auch Darkness des Technopaten aus Detroit, Carl Craig gehören. Gemeinsam mit dem Pianisten und Arrangeur Francesco Tristano und dem französischen Orchester Les Siècles, kreierte Craig im Jahr 2017 das Album Versus. Von vorne bis hinten hört sich das Album wie eine schräge, aber beeindruckende Mischung aus Philipp Glass, Woodkid und eben Carl Craig an. Darkness sticht für uns als der Track heraus, der das Album am besten beschreibt und seinen Charakter exemplarisch aufgreift.

Craigs langwieriger Freund Moritz von Oswald – der dem ein oder anderen alleine durch das Projekt Basic Channel gemeinsam mit Mark Ernestus ein Begriff sein dürfte –, half bei der grandiosen Umsetzung des Albums im Studio behandelt. 

3. Laurent Garnier – The man with the red face

Das Techno-Urgestein Laurent Garnier, das sich auch heute noch quasi auf jedem Line-up der Timewarp und ähnlicher legendärer Technofestivals findet, legte mit The man with the red face im Jahr 2000 einen entscheidenden Grundstein. Den Grundstein für die Verbindung eines Instrumentes aus der Klassik und dem Jazz, dem Saxophon nämlich auf der einen und dem Techno auf der anderen Seite.

Noch heute lässt sich zu The man with the red face in Clubs tanzen, als wäre der Track gerade erst veröffentlicht worden. Das liegt zum einen daran, dass der Track immer mehr Fahrt aufnimmt und einen in seinen Bann zieht. Garnier selbst erzählte zum Track, dass der Name durch einen Saxophonisten inspiriert gewesen sei, der nicht aufhörte zu spielen und dessen Gesicht immer roter wurde – so auch der Name des Tracks.

Zum anderen sind Techno- und EDM-Produktionen mit Saxophon eben seit Jahren schon angesagt und unter vielen Hörer*innen immer noch ein Renner. Laurent war einer der ersten, die diesen Trend anfeuerten. Allen, die selbst Musik produzieren und über den Einsatz eines Saxophons in Tracks nachdenken, können wir nur raten: Vorher bitte gut zu den Instrumenten informieren – auch was Bauformen, Materialien und Spieltechniken angeht. Garnier etwa beherrscht das Gebiet der Musik in umfassender Weise und hat genau gewusst, was er tut. Andernfalls kann das Ganze nämlich schnell billig klingen und das gilt es natürlich immer zu vermeiden.

4. Bugge Wesseltoft und Henrik Schwarz – Leave my head alone brain

 Auch Wesseltoft und Henrik Schwarz loteten mit ihrem 2011 erschienenen Album Wesseltoft Schwarz Duo die Grenzen zwischen Elektronik, Klassik und Jazz aus. Weniger mit Saxophonen geht es hier aber vorwiegend mit Piano und eben dem Computer zu.

Wesseltoft dürfte Techno- und Elektrofans vielleicht von seiner Zusammenarbeit mit oben erwähntem Laurent Garnier bekannt sein. Wesseltoft half Garnier sogar bei der Produktion von The man with the red face. Gemeinsam mit dem deutschen DJ Henrik Schwarz schuf er auf ihrem Kollaborationsalbum neben weiteren grandiosen Tracks aber Leave my head alone brain. Der Track ist genau acht Minuten lang und dauert damit keine Sekunde zu viel. Das ständig präsente Piano und die geschmackvolle Zurückhaltung von Synthesizer-Elementen machen den Track zu etwas Einzigartigem, der auch Nicht-Elektro-Hörer*innen gefallen dürfte.

Während Wesseltoft Pianomelodien einspielt, dreht Schwarz an den Knöpfen – ein virtuoses Duo.

5. Marc Romboy und die Dortmunder Philharmoniker – La mer

Auch bei Marc Romboys Projekt „Reconstructing Debussy“ aus dem Jahr 2017 könnte man sich immer wieder denken: Mehr Klassik in der elektronischen Musik ist eigentlich kaum möglich.

Wohl wahr, schließlich arbeitete der Techno-Produzent aus Mönchengladbach hierfür auch mit den Dortmunder Philharmonikern zusammen und setzte Stücke eines der bekanntesten französischen Komponisten des Impressionismus, Claude Debussy, neu zusammen.

Schon in der damaligen Besprechung des Projektes durch den deutschlandfunkkultur hieß es: „Man hört sie manchmal kaum, die elektronischen Verfremdungen wie hier im ersten Satz von Claude Debussys ‚La Mer‘.“ Genau das können wir unterstreichen und genau das macht den „Track“ (oder sollte es dann eher heißen die Track-Kompositionen?) so besonders – Klassik und Elektro lassen sich fast nicht mehr unterscheiden und voneinander trennen. Es entsteht etwas Neues und das ist große Kunst.

6. Starkey – Gnossienne No. 1 (Erik Satie) (Starkey Remix)

In einem Atemzug mit Mark Romboys Projekt muss auch Re: works genannt werden. Das britische Plattenlabel Decca Records bat 2016 mehrere Künstler*innen, sich im umfangreichem Archiv klassischer Musikveröffentlichungen umzuschauen und eigene Interpretationen zu entwickeln.

Faultline (der Londoner Produzent David Kosten) übernahm Faurés Requiem, der deutsche Electronica-Künstler Ulrich Schnauss Bachs Präludium und Kate Simko vom London Electronic Orchestra Schuberts Schwanengesang.

Starkey allerdings gelang unserer Meinung nach mit einem Remix von Erik Saties Gnossienne No. 1 der Höhepunkt des Albums. Starkey interpretiert das Stück am loyalsten und ehrlichsten und zeigt, wie schön es klingen kann, wenn man die Welten der klassischen und elektronischen Musik sorgfältig zu vereinen versucht.

7. Nils Frahm – Says 

 Nicht ohne Grund ist der deutsche Pianist und Komponist Nils Frahm durch die Kombination aus Neo-Klassik und minimalistischen elektronischen Klängen bekannt geworden. Wie kein Zweiter weiß er auch bei seinen Auftritten die Grenzen zwischen Konzerthalle und Club verschwimmen zu lassen. In sonst so ruhigen Hallen stehen die Menschen plötzlich auf und müssen sich zur Musik bewegen.

Sein Track Says vom Album Spaces aus dem Jahr 2014 ist virtuoses Klavierstück, loop-basierter Elektrotrack und kosmisch klingende Meditation in einem. Live dürfte Says sogar noch einmal spannender klingen, weil Frahm gerne mit der Akustik seiner Auftrittsumgebung interagiert und die Möglichkeiten auslotet. Und weil die Menge eben anfängt, dazu zu raven.

Musiker, wie Nils Frahm, wissen auch sonst eher publikumsstille Konzerthallen zum Tanzen zu bewegen. 

8. GAS – Narkopop 2 

Abgesehen von seltenen Live-Auftritten und einigen Neuauflagenkampagnen stellte der Mitbegründer des Kompakt-Labels Wolfgang Voigt sein zentrales GAS-Projekt beinahe ein. Nach Pop-LP im Jahr 2000 war erst einmal ganze siebzehn Jahre Ruhe im Synthesizer.

2017 schließlich brach GAS die Stille und lieferte ein Album mit mehr als 70 Minuten gedämpfter Technomelodien und nebliger Orchesterblüten. Wie der erste Schneefall der Saison hängen sie in Voigts geliebtem audiovisuellen Schwarzwaldprojekt in der Luft. Narkopop 2, der zweite Track des Albums, zeigt eindrucksvoll wie orchestral und gigantisch elektronischer Sound klingen kann. Ein Must-Hear!

9. Ólafur Arnalds – Near Light

Der isländische Multiinstrumentalist Ólafur Arnalds, der auch schon des Öfteren mit besagtem Nils Frahm zusammenarbeitete, veröffentlichte seine bis zu diesem Zeitpunkt sechste Platte im Jahr 2011 – und das, mit gerade einmal 25 Jahren. 

Mit dem Album Living Room Songs bewegte er sich noch näher hin zur Klassik als bisher, sodass auf einigen Stücken kaum noch zu hören ist, dass Arnalds auch die Synthesizer und Indie-Sounds beherrscht. Doch auf Near Light, da hört man es noch. Wenn eine schnelle Bass Drum und eine hallende Snare die Streicher und das Piano begleiten, dann ist klar: Hier versteht sich jemand auf das Kombinieren zweier Welten, die vielleicht weniger verschieden sind, als man denken könnte.

10.High Plains – Rushlight

Etliche Live-Musiker trugen ihren Teil bei, um die Klangwellen zu Scott Morgans Platten seines Loscil– Projektes umzusetzen. Zu nennen sind hier etwa der Pianist Jason Zumpano, der Vibraphonist Josh Lindstrom und mehrere EBow-Spieler. High Plains ist das in unseren Augen am besten realisierte Nebenprojekt. Hier jedoch wird das gesamte kreative Potenzial eines Steinway D-Klaviers, Mark Bridges ‘Cello und Feldaufnahmen aus den weiten Weiten von Saratoga in Wyoming zu etwas Fantastischem vereint.

Inspiriert ist das gesamte Projekt laut Morgan von Schuberts Winterreise-Liederzyklus, der einen Teil der romantischen Sentimentalität und Tragödie über erhabenen Landschaften abbildet, um Schönheit, Halluzinationen, Trauer, Terror und Nostalgie ans Licht zu bringen. In Rushlight ist dies alles hörbar – sogar ein bisschen Twin Peaks-Atmosphäre (Angelo Badalamenti) scheint da mitzuschwingen und einen beinahe mystischen Klangteppich zu bilden. Mystisch und frei, zwischen Klassik und Elektro.


DJ Mag Redaktion

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