Studie: Elektronische Musik ist Nr. 1 auf deutschen Festivals – doch viele kämpfen ums Überleben

Studie: Elektronische Musik ist Nr. 1 auf deutschen Festivals – doch viele kämpfen ums Überleben

Eine neue, repräsentative Studie beleuchtet erstmals die gesamte deutsche Festivallandschaft. Demnach ist elektronische Musik mit 42 Prozent das am häufigsten vertretene Genre. Nachwuchs-Acts haben große Chancen, doch viele Festivals stehen finanziell unter Druck.

Vielfalt, Nachwuchs und finanzielle Sorgen im Fokus

Deutschland ist ein Festival-Land: Rund 1.800 Festivals verschiedener Genres, von Klassik bis Techno, finden regelmäßig statt. Eine neue, vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Studie von Initiative Musik, Bundesstiftung LiveKultur und dem Deutschen Musikinformationszentrum bietet nun erstmals einen repräsentativen Gesamtüberblick über die Vielfalt, Strukturen und Herausforderungen der Szene. Bemerkenswert: Rund 60 Prozent aller Festivals finden in Orten mit weniger als 100.000 Einwohnern statt. Hier erlebt man Kultur jenseits der Metropolen.

Für die Club- und Rave-Kultur besonders relevant: 42 Prozent aller Festivals in Deutschland bieten elektronische Musik, gefolgt von Rock (40 %) und Pop (39 %). Elektronik ist somit das präsenteste Genre. Im Durchschnitt präsentieren Festivals fünf verschiedene Musikstile, was ihre stilistische Offenheit unterstreicht.

Festivals im Fokus

Nachwuchs bekommt Raum

Pro Festival gibt es im Durchschnitt 30 Konzerte bzw. Acts, von denen 40 Prozent Nachwuchskünstler sind. Gerade bei Popularmusikfestivals, zu denen auch elektronische Festivals gehören, liegt der Nachwuchsanteil bei rund 14 von 31 Acts. Damit leisten Festivals einen wichtigen Beitrag zur Förderung neuer Talente, auch auf den Dancefloors.

Finanzielle Schieflage

Die Studie zeigt zudem, dass Festivals zwar insgesamt ein enormes Volumen bewegen – den Einnahmen von 551 Millionen Euro stehen Ausgaben von 522 Millionen Euro gegenüber –, doch die Bilanz ist fragil. Nur 15 Prozent der Festivals schreiben Gewinne, während 30 Prozent Verluste verzeichnen.

  • Im Durchschnitt liegen die Einnahmen bei 313.000 €, die Ausgaben bei 296.000 € pro Festival.
  • Der größte Kostenblock sind die Künstlerhonorare mit 38 %, bei Popularmusik sind es 34 %.
  • Bei Klassik fließen 40 % der Einnahmen aus öffentlicher Förderung, in der Popularmusik sind es nur 20 %.

Gerade bei elektronischen Open-Air-Events fallen hohe Kosten für die Infrastruktur und Technik an: 27 % der Ausgaben entfallen hierauf – mehr als doppelt so viel wie bei Klassikfestivals.

Festivals im Fokus

Zukunft, Werte und Rückhalt

68 Prozent aller Festivals sehen ihre Zukunft als gesichert an. Während Klassikfestivals mit 82 Prozent besonders optimistisch sind, liegt der Wert bei Popularmusikfestivals nur bei 62 Prozent. Jedes zehnte Popularmusikfestival sieht sich akut gefährdet. Vor allem kleinere Veranstaltungen mit einem Budget von weniger als 50.000 € geraten unter Druck.

Gleichzeitig setzen die Festivals klare Zeichen in Sachen Werte: Fast 60 Prozent der Popularmusikfestivals messen Diversität in ihren Line-ups einen hohen Stellenwert bei – ein deutlicher Unterschied zur Klassik mit 21 Prozent. Geschlechtergerechte Besetzungen und mehr Vielfalt in Bezug auf Herkunft oder sexuelle Orientierung sind in der elektronischen und populären Szene längst zentrale Kriterien.

Auch Nachhaltigkeit ist fest verankert: 85 Prozent aller Festivals ergreifen ökologische Maßnahmen. All das wird durch eine enorme ehrenamtliche Basis möglich: 79 Prozent aller Festivals stützen sich auf freiwillige Helfer, in Landgemeinden sind es sogar 97 Prozent. Besonders Popularmusikfestivals (83 %) könnten ohne dieses Engagement weder Planung noch Durchführung stemmen – das Ehrenamt bildet das Rückgrat der gesamten Szene.

Festivals im Fokus

Die Zahlen basieren auf einer Vollerhebung von 1.764 Festivals, von denen 638 Fragebögen ausgewertet wurden. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 36,2 Prozent, die als repräsentativ gilt.

Mehr als Musik: Zukunft einer Kulturlandschaft

Deutschlands Festivals sind schon lange nicht mehr nur Orte für Konzerte oder Gigs, sondern auch Treffpunkte, Katalysatoren und Labore für gesellschaftlichen Wandel. Ob im Dorf oder in der Metropole, ob Klassik, Jazz oder Rave: Hier entstehen Räume für Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und neue Werte. Doch hinter dieser kulturellen Kraft verbirgt sich eine fragile Realität: steigende Kosten, unsichere Perspektiven und wachsender Druck. Die Zukunft der Festivalrepublik entscheidet sich nicht nur anhand von Ticketzahlen und Budgets, sondern auch daran, ob Politik, Branche und Publikum diese Vielfalt als das begreifen, was sie ist: ein unverzichtbares Stück gelebter Kultur, das bewahrt und weiterentwickelt werden muss.

Fotocredit: Anna Vis


Franz Beschoner

Franz Beschoner

Head of Editorial / franz@djmag.de